Kurzinterview mit Prof. Dr. Armin Grunwald
Im Vorfeld des Forums Wärmepumpe erklärte uns der Professor am KIT und beratender Experte für den Bundestag seine Sicht zu Energiewende und Gesellschaft.
Herr Prof. Dr. Grunwald, Deutschland wird die Klimaziele 2020 verfehlen. Der Ausbau von Solar- und Windenergie stockt gewaltig. Und im Verkehrs- und Wärmemarkt tut sich wenig bis nichts. Warum tun wir uns so schwer mit der Energiewende?
Zunächst einmal: Ja, im Verkehrs- und Wärmebereich ist die Entwicklung sehr langsam. Dagegen ist der Ausbau der Erneuerbaren für den Strombereich seit dem Energiewende-Beschluss rasch vonstattengegangen, wenn sich auch nun das Wachstum abflacht. In der Tat wird Deutschland wohl die Klimaziele verfehlen. Die Energiewende ist offenbar viel schwerer, als man sich das vor acht Jahren gedacht hat. Verglichen mit der Aufbruchstimmung im Jahre 2011 ist Ernüchterung eingekehrt. Die Energiewende ist eben viel komplexer, als man sich das damals vorgestellt hat. Sie fordert nicht nur von Ingenieuren und Energiewirtschaft eine Menge ab, sondern auch von Bevölkerung und Gesellschaft.
Was macht die Komplexität der Energiewende aus, von der Sie sprechen?
Das Energiesystem ist nicht einfach ein technisches System von Kraftwerken, Leitungen, Speichern, Steuervorrichtungen etc., sondern extrem eng mit gesellschaftlichen Aspekten verbunden. Ohne Geschäftsmodelle und Dienstleistungen der Energieversorgung, ohne volkswirtschaftliche Wertschöpfungsketten, ohne einen einigermaßen abschätzbaren Energieverbrauch in der Wirtschaft und bei Haushalten, ohne kluge Regulierung und Anreizsysteme und ohne stabile geopolitische Randbedingungen wird es nicht funktionieren. Die enge Verflechtung von Technik mit gesellschaftlichen Fragen verhindert, dass die Energiewende ‚einfach‘ der Ersatz alter durch neue Technologien ist. Stattdessen muss sich die Gesellschaft mit verändern, bis hin zum individuellen Verhalten etwa im Mobilitätsbereich. Lang eingespielte Gewohnheiten jedoch sind gelegentlich erheblich schwerer zu ändern, als alte Technik zu ersetzen.
Die Gesellschaft scheint vielerorts gespalten: Hohe Zustimmung für die Energiewende in der Bevölkerung bei vehementen Protesten gegen neue Windkraftanlagen oder Stromtrassen. Überrascht sie diese Spaltung? Wie kann die Gesellschaft mitgenommen werden?
Diese Spaltung ist nicht sehr überraschend, sondern betrifft viele Maßnahmen, mit denen zugunsten eines politisch legitimierten Gemeinwohls in die Lebenswelt von Bürgern eingegriffen wird. Dass sich jemand wehrt, wenn seine direkte Umwelt durch technische Maßnahmen wie Stromtrassen beeinträchtigt wird, halte ich für verständlich, ebenso, dass dann gefragt wird, warum die Stromtrasse gerade hier und nicht zwei Kilometer weiter entstehen soll. Konflikte zwischen Individualinteressen und Gemeinwohl sind in offenen Gesellschaften ganz normal. Wichtig ist hier, die Belastungen fair zu verteilen und vor allem die Bevölkerung frühzeitig an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, statt nach getroffener Entscheidung um Akzeptanz zu werben. Das funktioniert in der Regel nicht.
Welche Maßnahmen müssen Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um die Energiewende doch noch zu einem Erfolgsprojekt zu machen?
Die Energiewende ist nicht wirklich in Gefahr. Wenn die Klimaziele 2020 nicht erreicht werden, werden sie etwas später erreicht. Man sollte nicht von Scheitern sprechen, nur weil manches länger dauert und mühsamer ist, als man sich das wünschen würde. Wir benötigen einen offeneren Dialog, der nicht nur Erfolg oder Scheitern kennt, sondern in dem Schritt für Schritt die jeweils nächsten Schritte diskutiert werden. Hier sollte dem Wärmebereich erheblich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Und der Mobilitätsbereich muss aus dem Austauschen von Glaubensbekenntnissen herauskommen, etwa zwischen den Vertretern der Elektromobilität und der Brennstoffzellentechnologie. Insgesamt muss die Debatte in aller Offenheit geführt werden und darf nicht ignorieren, dass die Energiewende auch etwas kostet und dass es häufig nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer geben kann. Es muss auch offen darüber gesprochen werden, wie mögliche Verlierer gerecht behandelt werden können, also etwa durch Kompensationen. Das ist in Politik und Wirtschaft nicht beliebt – ein Totschweigen jedoch führt langfristig zu Frust und Abkehr von den Ideen der Energiewende.
Prof. Dr. Armin Grunwald ist Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) und Professor für Technikphilosophie am Institut für Philosophie des KIT.